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Buch- und Medienrezensionen von spannenden neuen und alten Werken zur Zukunft von Wirtschaft, Geld und Arbeit

Fundierte Auseinandersetzung mit komplementärer Ökonomie

Buchrezension

Tauschringe und Marktwirtschaft

Eine ökonomische Analyse lokaler Komplementärökonomien

von Eva-Maria Hubert

(Duncker & Humblot  Verlag Berlin, 2004, Reihe Beiträge zur Verhaltensforschung, Heft 43)

Die bereits 1959 gegründeten wissenschaftliche Buchreihe “Beiträge zur Verhaltensforschung“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine “den lebensweltlichen Prozessen entrückte Volkswirtschaftslehre“ mit erfahrungswissenschaftlichen, auf dem real beobachteten Verhalten der Menschen in der Wirtschaft beruhenden Ansätzen zu konfrontieren. Dieses löbliche Unterfangen hat vor einigen Jahren auch zu einem interessanten Band über Tauschringe und lokale Komplementärökonomien geführt.

Es handelt sich dabei um eine Disseratation von Eva-Maria Hubert an der Universität Hohenheim. Die Autorin stellt die wichtige Frage ob Tauschringe einen positiven Beitrag zur Bewältigung sozio-ökonomischer Probleme leisten können und wie dieser Beitrag auch ermittelt werden könnte.

Der einführende Teil behandelt Grundlagen und Methode, wie die Tauschringe und komplementäre Währungssysteme überhaupt wirtschaftlich erfasst werden könnten. Das postulierte Modell basiert auf der Vorstellung einer geschichteten Wirtschaft, die sich in einen entgeldlichen und einen unentgeldlichen Sektor, die noch weiter differenziert werden, aufteilt. Es wird danach versucht, mittels summarischer Verfahren ein simultanes Gleichungssystem für die Erfassung des wirtschaftlichen Gleichgewichts herzuleiten. Dieser Ansatz hat sicher seine volkswirtschaftliche Berechtigung, müsste aber auch hinterfragt werden, da er nach wie vor auf der wirtschaftlichen “Neutralität des Geldes“ aufbaut. Gerade hier setzen ja die meisten Komplementärwährungen ein, deren Konzeption zumeist vehement auf die “Nichtneutralität“ des Geldes hinweist.

Dafür ist der ausführliche zweite Teil des Buches ohne Vorbehalt zu empfehlen:  Die historische Entwicklung und Herkunft der Tauschringe und der lokalen Komplementärökonomie wird anhand von folgenden Vordenkern sehr gut hergeleitet und illustriert:

  • Silvio Gsell (1862-1930)
  • Irving Fisher (1867-1947)
  • Emil Lederer (1882-1939)
  • Frank Dunstone Graham (1890-1949)
  • Bernard A. Lietaer (*1942)

Insbesondere Lederer und Graham sind zwei eher unbekannte Grössen, deren Beitrag aber dennoch sehr wichtig war. Durch folgende interessante Beispiele über Vorläuferformen von Tauschsystemen wird das Thema dann weiter vertieft:

  • Das Schwundgeld-Experiment von Wörgl 1932/33
  • Die Erwerbslosenbetriebe Berlin (ca. 1920/30?)
  • Die N.D.A. Natural Development Association  1932 (nordamerikanische Selbsthilfe-Bewegung)
  • Die Süddeutschen Tauschringe 1945 (Tauschring in Gross-Stuttgart)

Besonders interessant und lesenswert sind auch hier die wenig bekannten Beispiele aus Berlin und Stuttgart, sowie die N.D.A. und die nachfolgenden Ausführungen zu den aktuellen Erscheinungsformen von Tauschsystemen.

Die Ökonomische Analyse, die den dritten Teil des Buches ausmacht, gibt viele wertvolle Hinweise auf Funktionsweise und Strukturen von Tauschringen. Der Versuch, einer gesamtwirtschaftliche Wirkungsanalyse, wird qualitativ gut gelöst. Da die Tauschsysteme noch marginale Erscheinungen “im Markt“ sind, lassen sich diese Effekte jedoch kaum überprüfen.

Im Abschluss der Arbeit weist die Autorin auch auf die rechtliche Situation der Systeme hin. Ihr Plädoyer für eine “Legalisierung“ und Anerkennung der Tauschringe als Graswurzel-Ökonomie kann dabei nur voll unterstützt werden und ist leider bis heute nicht umgesetzt.

Das Buch ist für Fachleute mit einem soliden Hintergrund in Volkswirtschaft gut lesbar und enthält ein Bündel gut aufgearbeiteter historischer Anregungen. Der gezeigte Modellansatz ist bedenkenswert müsste aber noch weiterentwickelt werden. Auch für interessierte Laien ist das zentrale Kapitel zur historischen Entwicklung wertvoll und ohne weiteres gut lesbar.

Auf dem Netz finden sich weitere Texte von Eva-Maria Hubert, die sich als Expertin in Belangen der Komplementärökonomie etabliert hat. Sie ist auch Mitglied des Forschungsnetzwerks Money Network Alliance (MonNetA) von Prof. Margrit Kennedy

Das Buch ist erhältlich direkt beim Verlag:

Duncker&Humblot

oder bei

Amazon.de

Weiterführende Links:

www.monneta.org

Neuerscheinung: Die Banken und ihre Schweiz – Perspektiven einer Krise

Lange Jahre schon plädiert der Verein FleXibles dafür, neue Modelle und Systeme für unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Schweiz zu entwickeln. Bisher war diesen Überlegungen vielfach ein unbeachtetes Nischendasein beschieden. Und nun, nach zwei Jahren Finanzkrise und vielen fortlaufenden Ernüchterungen, endlich ein Autor – Peter Hablützel – der aus aus einer ganz bürgerlichen, “wirtschaftlichen” Perspektive mit nüchternen geschichtlichen Fakten und langjähriger eigener Erfahrung in Bundesbehörden und Finanzwirtschaft  diese Systemfragen stellt. Er schreibt z.B. Notwendig sind echte Änderungen an den Strukturen und in der Kultur des Wirtschafts- und Finanzsystems. An vielen Stellen des Buches getraut sich der Autor sogar ziemlich scharfe Worte zu verwenden, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Menschenbild :

Aber man fragt sich dann besorgt, warum unsere obersten Wirtschaftsbosse, die uns in die Zukunft führen wollen, in der Entwicklung ihrer eigenen Persönlichkeit offenbar im zweituntersten Stockwerk auf der Maslowschen Bedürfnispyramide steckengeblieben sind und der Illusion erliegen, mit Geld liessen sich höhere Werte kaufen. (Seite 188)

Auch bei der herrschenden Wirtschaftstheorie weist Peter Hablützel auf schwerwiegende Fehlvorstellungen hin und obwohl er den Markt als solchen nicht in Frage stellt, arbeitet er klar heraus, dass die sogenannte unsichtbare Hand – in Tat und Wahrheit unser Geldsystem – gerade kein Gleichgewicht und keine Gerechtigkeit in den Wirtschaftsprozess bringt.

Wesentliches erfährt man auch über den Filz der Schweiz und die Entstehung des Bankensystems mit ihren beiden Überbanken UBS und CS. Was man eigentlich jeden Tag in den Zeitungen lesen muss, dass in der Schweiz geradezu ideale Bedingungen für Shareholder- und Casino-Kapitalismus herangeführt wurden und warum die Reichen hier Schlange stehen, findet so nahtlos eine Erklärung.

In sieben Thesen schlägt Hablützel am Schluss des Buches vor, wo der Hebel anzusetzen ist. Diese Thesen sind unwidersprochen nützlich und wichtig. Der wichtigste Punkt überhaupt wird leider nicht als eigene These formuliert, kommt aber zum Glück im Schlussabschnitt doch noch zur Sprache:

Ohne eine Analyse der zentralen Rolle des Geldes dürften sowohl ein adäquates Verständnis von Gesellschaften, als auch verständnisvolles Handeln in und für Gesellschaften kaum möglich sein. (Seite 269)

Ja, man kann nur zustimmen oder sogar noch etwas verstärken: Ohne die Schaffung eines neuen, gerechteren Geldsystems werden wir keinen Schritt weiterkommen!

Ganz unvermerkt befindet sich am Ende des Buches noch ein längerer Artikel von Paschen von Flotow: Was würde Georg Simmel zur heutigen Krise sagen? Dabei beleuchtet der Autor das vor mehr als 100 Jahren erschienene Werk des Philosophen Georg Simmel Philosophie des Geldes, das in letzter Zeit wieder vermehrt gelesen und konsultiert wird. Dieser Beitrag ist durchaus bereichernd und regt an, sich weiter mit den Hintergründen der menschlichen Vorstellungen und ihrer Wechselwirkung zu befassen, die ja wesentlich die Grundlagen des Geldes bilden.

Fazit: Wer die Finanzkrise besonders in der Schweiz besser verstehen möchte, kommt nicht um dieses Buch herum. Gut und leicht zu lesen, mit Tiefgang und fundierten Analysen.

Peter Hablützel: Die Banken und Ihre Schweiz – Perspektiven einer Krise, Conzett/Oesch Verlag Zürich, CHF 28.-  Link zum Verlag