Agenturmeldung
Die Politik der Ausgrenzung geht weiter
Es war ein Abstimmungskampf ohne grosse Diskussion. Die Bundesratswahlen verdrängten jedes andere Thema weitgehend. Wie gewohnt wurde bei der AVIG-Revision über die Arbeitslosen diskutiert und nicht mit ihnen.
Von Christof Berger
Die Direktbetroffenen blieben mit einem Komitee-Budget von lediglich einem vierstelligen Frankenbetrag und mit viel Gratisarbeit im nationalen Abstimmungskampf praktisch unsichtbar. Sie hatten versucht, den Betroffenen ein Gesicht zu geben. In der Kampagne der Gewerkschaften und Linksparteien wurden die Arbeitslosen mehrheitlich als anonymer und willenloser Bodensatz der Gesellschaft dargestellt.
Die vom Abstieg bedrohte Mehrheit hat der bereits abgestiegenen Minderheit wieder einmal gezeigt, wo Gott hockt. Zumindest in der Deutschschweiz. Und was immer klarer wird: Entgegen anderslautender Beteuerungen glaubt niemand mehr an eine Vollbeschäftigung. Durch den Abbau der Leistungen der Arbeitslosenversicherung wird bewusst in Kauf genommen, dass immer mehr Menschen dauerhaft in die Armut, resp. Sozialhilfe (was dasselbe bedeutet bei gleichzeitiger Entmündigung und Dauerüberwachung) abgeschoben werden. Das heisst, alle wissen, dass es zu wenig bezahlte Arbeit gibt, aber einen ganzen Haufen unerledigter unbezahlter Arbeit. Und weil niemand ernsthaft die bezahlte Arbeit gleichmässiger verteilen will, grenzt die Gesellschaft diejenigen aus, die in diesem System die hoch gehängten Trauben nicht erreichen. Dies mit dem zynischen Hinweis, Arbeit wäre ja genügend vorhanden. Mit Schlagzeilen wie «Die herbeigeredete Armut» werden die Opfer dieser Verdrängungspolitik auch noch der Häme preisgegeben.
Zweidrittelsgesellschaft
Zu Beginn der neoliberalen Wende wurde vor einer Zweidrittelsgesellschaft gewarnt. Heute haben wir diese. Und vom Versprechen, dass alle mittel- und langfristig vom schrankenlosen Wettbewerb profitieren würden, sind wir weiter entfernt denn je.
Und warum ändern wir dieses System nicht? Weil die damaligen Neoliberalismus- und GlobalisierungskritikerInnen gemerkt haben, dass sie im Mainstream spuren müssen, wenn sie auch nur geringen Einfluss und zudem ihre Jobs behalten wollen. Weil Solidarität zum Schimpfwort gemacht wurde. Weil Menschen, die sich solida-risch mit Ausgegrenzten zeigen, Gefahr laufen, selbst ausgegrenzt zu werden. Weil die GewinnerInnen dieser Umverteilungspolitik «hin zu den Reichen» inzwischen so mächtig geworden sind, dass sie sich nicht mehr an Gesetze und demokratische Prozesse zu halten brauchen. Und weil allenthalben das neoliberale Tina-Prinzip («There is no alternative») verinnerlicht wird.
Kreative Opposition
Vermehrte soziale Eruptionen und Kurzschlusshandlungen (z.B. Amokläufe) werden dergestalt in Kauf genommen und dienen zusätzlich der allgemeinen Unterhaltung. Trotzdem ist es nicht aussichtslos, weiter von unten an den Stuhlbeinen der Macht zu sägen: Mit Kreativität (z.B. dem Aufbau von unabhängigen Kleinökonomien), zivilem Ungehorsam, Boykott der Mainstreammedien und unsozialen Grosskonzerne sowie hartnäckigem Einfordern der Grund- und Menschenrechte. Die Mächtigen sind nur so lange mächtig, solange wir ihre Macht akzeptieren und sie auch noch dafür bewundern.
27. September 2010
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